„In Freundschaft Zeichen setzen!“
(Israel-Austausch 2001)

 

Am Sonntag, dem 30. September 2001, war es endlich so weit: Unsere israelischen Freunde aus Nahariya kamen in München an. Wir freuten uns sehr, da wir lange gebangt hatten, ob unsere Gäste auf Grund der weltpolitischen Lage nicht doch absagen würden. Mit einem großen Willkommens-Banner erwarteten wir sie vor dem Ausgang des Flughafen-Gebäudes. Die Spannung und Vorfreude war groß und jeder wollte nun endlich seinen Partner sehen und mit ihm sprechen, da man sich bisher ja nur vom Briefe- oder e-mail-Schreiben kannte. Auf der Busfahrt ins Schussental setzte sich jeder neben seinen Partner um die ersten Kontakte zu knüpfen. Ein kleines Geschenk ‚brach das Eis‘ und nach dieser kleinen Geste kam man wie von selbst ins Gespräch.

Alle am Austausch beteiligten Schüler und Lehrer wurden am Montagmorgen im Gymnasium Weingarten empfangen. Die beiden Schulleiter, Herr Schick und Herr Bartels, wie auch die israelischen Lehrer hielten eine kurze Rede. Zwei Schülerinnen umrahmten den Empfang mit Geigenspiel, andere sangen oder präsentierten eine tänzerische Darbietung. Danach lernten die israelischen Schüler das Welfen-Gymnasium bzw. das Gymnasium Weingarten kennen, je nachdem, wo ihr Gastgeber zur Schule geht. Abends fand im Ravensburger Schwörsaal der große Festakt zum zehnjährigen Jubiläum statt, zu dem alle Ehemaligen, Eltern und Lehrer, Freunde und Beteiligte eingeladen waren. Die Lokalzeitung berichtete sehr ausführlich darüber.

Der schwierigste und emotional anstrengendste Tag war der Tag, an dem wir gemeinsam nach Dachau fuhren. Zuerst besuchten wir die Foto-Ausstellung über das Leben im KZ und schauten uns einen Film an, welcher besonders bei den Israelis Entsetzen auslöste, da viele von ihnen Angehörige in einem KZ verloren hatten. Unsere Partner waren schockiert, wie auch viele von uns, die noch nie in Dachau gewesen waren und sich nicht vorstellen konnten, welche Grausamkeit in solchen Lagern geherrscht hatte. Herr Gürtler, der bei den Israelis den Spitznamen ‚Pusher‘ hat, weil er alle israelischen Gruppen durch Dachau führt, zeigte uns beim Rundgang durch das Lagergelände die Baracken, das Krematorium und die Hinrichtungsstätte.

Nach dieser Führung fanden wir uns alle in der Synagoge auf dem Platz des ehemaligen KZ ein, um eine Gedenkfeier für die im Holocaust ermordeten Angehörigen unserer Partner zu gestalten. Beide Gruppen hatten für diese Feier etwas vorbereitet. Jeder stand neben seinem Austauschpartner. Gemeinsam mit ihnen errichteten wir eine Klagemauer aus ‚Steinen‘, die in Packpapier eingewickelte Schuhkartons waren. Auf die eine Seite der ‚Steine‘ hatten wir eine Klage und auf die andere einen Wunsch, eine Hoffnung geschrieben, und zwar sowohl in Deutsch als auch in Ivrit. Vor der Mauer leuchtete ein Davidstern aus lauter Teelichtern; für jedes Paar eines. In die Mauer steckten wir Blumen, um unsere Hoffnung zu zeigen: So etwas Schreckliches wie der Holocaust und der Zweite Weltkrieg dürfen nie wieder geschehen!

Eine Teilnehmerin aus dem ‚Welfen‘ trug einen selbst verfassten Text vor, mit dem sie nahezu alle zum Weinen brachte. Andere drückten ihre Gefühle musikalisch aus. Die Israelis gestalteten eine Performance über die letzte Bahnfahrt der Opfer ins KZ, lasen Texte, die im KZ entstanden waren, und sangen, um ihre Trauer zu bekunden. Im Bus schlug die Stimmung bei den Israelis schlagartig um. Waren wir Deutsche vom Gang durch Dachau und von der Gedenkfeier immer noch ziemlich mitgenommen, waren die Israelis schon wieder in Partystimmung. Glücklicherweise hatten uns die Wolfs auf dieses schwer nachvollziehbare Phänomen vorbereitet, das in Israel immer wieder zu beobachten ist. „Life has to go on“ – mit dieser Devise muss man in einem von Terror und Gewalt gezeichneten Land zu leben lernen. Leider konnten wir auf dem Heimweg nicht wie geplant zur Synagoge nach Augsburg fahren, da diese auf Grund der Ereignisse des 11. September geschlossen blieb.

Bei Ausflügen lernten die Israelis unsere oberschwäbische Landschaft und vor allem den Bodensee kennen. Sie besuchten unter anderem die Insel Mainau, Schaffhausen und den Rheinfall, Meersburg, Stein am Rhein, Friedrichshafen und das Zeppelinmuseum sowie die Basilika von Weingarten. Höhepunkt war unser gemeinsamer Ausflug auf den Säntis und die anschließende Fahrt nach St. Gallen. Den Gipfel des Säntis erreichten wir mit der Seilbahn. Für die Israelis war dies ein besonderes Erlebnis, da auf dem Säntis schon etwas Schnee lag und viele von ihnen noch nie Schnee in den Händen gehalten hatten. Deshalb fanden auch zahlreiche Schneeballschlachten statt, wobei es unsere Partner in ihrer Begeisterung überhaupt nicht störte, dass sie zum Schluss pitschnass waren. Auf dem Weg vom Säntis nach St. Gallen hatte sich das Ehepaar Wolf für uns eine Überraschung ausgedacht: die „Sommerbobbahn“ in St. Jacob. Es machte wirklich sehr viel Spaß mit einem „Schlitten“ den Berg hinunterzurasen. In St. Gallen besuchten wir die Stiftsbibliothek, wo wir in Filzpantoffeln durch den schönen Saal streiften und die kostbaren Bücher bestaunten. Danach durften wir auf eigene Faust die Stadt erkunden und einkaufen gehen. Israelis ‚shoppen‘ nämlich für ihr Leben gerne.

Ein weiterer wichtiger Programmpunkt für unsere Gäste war die Fahrt nach München, wo sie zwei Tage verbrachten. Dort besuchten sie das Deutsche Museum, das Musical „Grease“, die Bavaria Filmstadt Geiselgasteig, die Residenz, und sie hatten die Möglichkeit einkaufen zu gehen. Nach den Tagen in München unternahmen wir einen gemeinsamen Ausflug nach Ulm und Laupheim. In Laupheim besuchten wir den jüdischen Friedhof und in Ulm stiegen wir auf das Münster und betrachteten das Israel-Fenster im Innern des Münsters.

Am letzten Abend feierten wir ein ausgelassenes Fest im Welfen-Gymnasium mit vielen bunten Programmpunkten und einem bombastischen Buffet, viel Gelächter, netten Gesprächen, Gesang und Tanz. Es war ein schönes Fest, das die neue Freundschaft nochmals richtig aufleben und trotzdem schön ausklingen ließ. Am nächsten Morgen verabschiedeten wir uns in aller Frühe mit vielen Tränen von unseren neu gewonnen Freunden, die nun ihren Weg in ihre leider weit entfernte Heimat antraten. Versprechen wie: „Ich ruf dich sofort an, wenn ich zu Hause bin“ oder „Ich schreib dir sofort“ wurden gegeben. Dann schlossen sich die Türen des Busses, der in die Morgendämmerung entschwand und die Israelis wieder zum Flughafen nach München brachte.

An dieser Stelle möchten wir uns nochmals bei allen Beteiligten und besonders beim Ehepaar Wolf bedanken, die sich viel Mühe gaben, diesen Austausch so schön wie möglich zu gestalten. Jeder von uns wartet darauf, an Pfingsten nach Israel zu fahren um dort unsere Freunde wieder zu treffen und fortzufahren mit: „In Freundschaft Zeichen setzen.“